„Total agil, ey!“

Ein Kollege im Konzern hatte ein Buch auf dem Schreibtisch liegen. Es war der aktuelle Bestseller zum Thema Agilität. Aha, dachte ich, das Modethema Nummer eins ist also auch hier angekommen. Ich hatte mich damit bereits intensiv auseinandergesetzt und, sagen wir’s so: Ich stehe dem ganzen Themengebiet New Work, Agilität, Holocracy und so weiter sehr aufgeschlossen gegenüber und weiß auch, dass es funktioniert. Ich finde vieles davon richtig gut, richtig nützlich, richtig intelligent – ob das jetzt hip ist oder nicht.

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Aber ich sehe eben auch, dass viele Unternehmen von Agilität so weit entfernt sind, wie der eine Rand des Grand Canyon vom anderen. Und dazwischen ist ein Graben, der so tief und so unzugänglich ist, dass diese Unternehmen Jahrzehnte brauchen würden, um ihn zu durchwandern.

Eisbergattrappen – und warum sich die neue schwer mit der alten Organisationskultur vereinen lässt

Als dieses Buch am nächsten Tag und in der nächsten Woche immer noch auf dem Schreibtisch des Kollegen rumlag, er es mehrfach mit sich durch die Gegend trug und ich ihn dabei ertappte, wie er es in ein Meeting mitnahm und dort „zufällig“ gut sichtbar vor sich liegen hatte, wurde ich stutzig. „So, so, du bist hier also unter die Agilisten gegangen, was?“, konnte ich mir nicht verkneifen. Was mit Agilität gemeint ist, ist nicht in einem Satz zu erklären. Das führte hier auch zu weit. Jedenfalls beinhaltet das Konzept eine sehr tiefgreifende Transformation des ganzen Unternehmens, das dann komplett anders funktioniert als mit der traditionellen Hierarchie, den Silos, den Abteilungen. Daraus folgt, dass Sie „Agile“ nicht nur mal so ein bisschen umsetzen und dabei gleich die 100-prozentige Wirkung erwarten können. Denn wenn Sie sich damit nur so ein bisschen den Pelz waschen lassen um sauber zu werden, aber dabei auf keinen Fall nass werden wollen, dann funktioniert es nicht. Dann können Sie es gleich ganz bleiben lassen. Dann passiert nichts anderes als eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Aha! Funktioniert also nicht! Hab ich’s doch gewusst!

Unternehmen – und die in ihnen herumschwimmenden Styropor-Eisberge

Es gibt sowas wie den agilen Eisberg, den male ich auch gerne auf Flipcharts, um das zu erklären: Oben, die kleine Spitze, die aus dem Wasser lugt, das ist das „Doing agile“ – das sind die ganzen agilen Methoden und Tools. Das ist das Offensichtliche: Oh, die Meetings funktionieren ja ganz anders. Aha, da sind jetzt überall bunte Zettelchen an den Stellwänden. Oho, die Arbeit ist ganz anders strukturiert. Hoppla, da gibt es ja gar kein Organigramm mehr. Hm, Entscheidungsprozesse laufen völlig anders. Und so weiter. Und dann gibt es da noch den riesigen Teil des Eisbergs, der unterhalb der Wasseroberfläche ist und der gar nicht so offensichtlich ist: Das ist das „Being agile“ – die Werte und Prinzipien. Und die sind zum großen Teil zwar leicht verständlich aber gar nicht so leicht zu leben. Transparenz ist so ein Beispiel dafür, aber dazu gleich mehr. Offensichtlich schwimmen außerdem in so einigen Unternehmen heute auch noch die Styropor-Eisberge herum. Attrappen, die nur dazu da sind, nach außen zu dokumentieren: Ich bin „in“, ich bin „hip“, ich bin voll modern, bin voll auf der Höhe, bin voll cool drauf, ey, ich bin total „ädschail“! Diese Leute haben aber eigentlich keinen blassen Schimmer davon, was das Konzept der Agilität eigentlich beinhaltet. Sie sehen es nur oberflächlich als Methodenset. Und in Wahrheit setzen sie nicht einmal die Spitze des Eisbergs um, sie tun nur so als ob. Es geht ihnen nämlich überhaupt nicht darum, das Unternehmen tiefgreifend zu reformieren, sondern es geht ihnen darum, gut dazustehen und internes Marketing für sich zu betreiben…

… Sie wollen wissen, wie es weitergeht? Dann lesen Sie gerne den nächsten Teil meiner Reihe zum Thema Agilität in Unternehmen und Organisationen. Der zweite Teil handelt davon, was diese sogenannten „Oberagilisten“ in Wahrheit erreichen wollen und was passiert, wenn einer aufgesetzten und nicht gelebten Agilität die Maske heruntergerissen wird – es bleibt spannend, weshalb Sie unbedingt wieder vorbeischauen sollten.

Sollten Sie in Ihrer Organisation oder in Ihrem Unternehmen hinsichtlich einer zielführenden Einführung von Agilität Unterstützung benötigen, melden Sie sich gerne bei mir – gemeinsam finden wir einen Weg aus der alten Organisations-/Unternehmenskultur in eine neuere und agile.